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Steglitzer Lokal-Anzeiger 06./7. Juli 1990

Steglitzer Leierkastenfrau erfreut Jung und Alt

Die Emanzipation ist nicht mehr aufzuhalten, erst recht nicht im Showbusineß, wo es bei den „Leierkastenmännern" schon längst auch „Leierkastenfrauen" gibt. Besonders in Berlin natürlich, einer Metropole, in der sich die Drehorgel seit Kaisers Zeiten enormer Beliebtheit erfreut und dem alten Heinrich Zille unzählige seiner Motive geliefert hat. Vor allem nach dem Krieg von 1870/71 war der eigenartige Kasten immer öfter im Straßenbild zu sehen, als viele verletzte, meist amputierte Kriegsveteranen in die Reichshauptstadt heimkehrten und von den Sammlungen mit ihren Leierkästen ihren ärmlichen Lebensunterhalt bestritten.

„Auch heute ist es schon besser, eine sichere Einnahmequelle zu haben", meint Manuela Hopf (34), die seit 10 Jahren in der Bauverwaltung des Steglitzer Bezirksamtes arbeitet und vor zwei Jahren per Zufall durch eine Freundin an den Leierkasten geraten ist. Die Orgelei und der Kontakt mit den Leuten haben ihr aber soviel Spaß gemacht, daß sie dabei geblieben ist. Und dann dauerte es auch nicht lange, bis sie sich ihren ersten eigenen Kasten „zusammengeorgelt" hatte.
Damit zieht sie nun durch Berlin von Fete zu Fete, gleich ob es sich um spontane Vergnügen, Geburtstags-, Hochzeits- oder andere Feiern handelt. Überall ist sie hoch willkommen und sorgt nicht nur für Stimmung, sondern erhält so ganz nebenbei auch eine Alt-Spree-Athener Tradition am Leben, die es sonst fast nur noch auf Rummelplätzen gibt.
„Irgendwie habe ich da Glück gehabt und liege voll im Trend, denn Mutter mehr Leute wollen keine gewöhnlichen Geschenke mehr haben, sondern wünschen sich etwas Originelles, woran sie sich noch nach Jahren erinnern, während die alten Präsente irgendwo im Keller verstauben", meint Manuela Hopf, die sich am Anfang ihrer nebenberuflichen Karriere noch darüber wunderte, wie locker das Geld vielen Zeitgenossen sitzt, denn unter 100 Mark die Stunde fängt sie erst gar nicht an, zu leiern. Und das ist auch irgendwie zu verstehen, schließlich ist ein wohlklingender Leierkasten nicht unter 35 000 Mark zu haben.
Aber die Investition dürfte sich gelohnt haben, denn mehr und mehr wird Manuela Hopf zu Feiern engagiert, wobei sie im Alt- Berliner Kostüm, mit Frack und Zylinder oder als Harlekin auftritt und die Kostümierung kommt gut an, schließlich sind alle Zuhörer gern auf eine gutgelaunte Frohnatur einzustimmen, deren Lieder ja auch nicht ohne sind.
Die heitere Musikantin hat so ziemlich alles auf der Walze, was zu pfeifen und zu trällern ist und wird auch in diesem Jahr wieder mit beim großen Fest der Drehorgler dabei sein, das vom 5. bis zum 8. Juli in Berlin stattfindet. Höhepunkt der Veranstaltungen ist natürlich der Festumzug am 7. Juli, der um 14 Uhr auf dem Olivaer Platz beginnt und bis zum „Wasserklops" auf dem Breitscheidplatz führt. „Da wird es hoffentlich wieder in der Kasse klingeln", hofft die lustige Bezirksamtsmitarbeiterin mit dem ausgefallenen Hobby, die auch schon weiß, wie und wo sie das Geld wieder unter die Leute bringt, „auf Sri Lanka nämlich, denn Fernreisen sind meine große Leidenschaft. Schade ist nur, daß ich da den Leierkasten nicht mitnehmen kann", meint Manuela.
Bert Bachmann

Mit freundlicher Genehmigung von Herrn Zippler, den Herausgeber des Steglitzer Lokal-Anzeiger und mit der unterstützung vom Heimatverein Steglitz e. V. www.steglitz-museum.de.

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Berolinchen & Bärchen

Manuela & Ingo Hopf

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